Der Rechnungshof geht davon aus, dass die ÖVP die Wahlkampfkostengrenze auch bei der Nationalratswahl 2019 überschritten hat.

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Sechs Monate ist es her, da ereilte die ÖVP ein verheerendes Urteil des Rechnungshofes – und zwar in Bezug auf ihren Rechenschaftsbericht. Konkret hegte der Rechnungshof erhebliche Zweifel daran, dass die ÖVP ihre Wahlkampfkosten für das Jahr 2019 korrekt abgerechnet hatte. So ortete das Kontrollorgan ungeklärte Geldflüsse, möglicherweise nicht deklarierte Spenden sowie unstimmige Abrechnungen. Deshalb schickte der Rechnungshof im Juni zum ersten Mal überhaupt einer Partei externe Wirtschaftsprüfer ins Haus. Diese sollten die Parteifinanzen der ÖVP des Jahres 2019 durchleuchten. Den Angaben der Volkspartei schenkte der Rechnungshof, der in diesem Zusammenhang bereits im Juni eine Reihe von Verstößen gegen das Parteiengesetz angezeigt hatte, nämlich keinen Glauben.

Nun liegt dem Rechnungshof der Prüfbericht vor – und dieser beschert der ÖVP weiteres Ungemach. Der Rechnungshof geht nach Durchsicht des Berichts – für dessen Veröffentlichung fehlt laut Angaben des Rechnungshofes die Rechtsgrundlage – nämlich davon aus, dass die ÖVP die Wahlkampfkostengrenze auch bei der Nationalratswahl 2019 überschritten hat. Aus dessen Sicht wären zumindest weitere 888.676,58 Euro als Wahlwerbungskosten einzustufen. Unter diesen Posten fällt zum Beispiel die "Berg-auf-Tour" des damaligen ÖVP-Chefs Sebastian Kurz, die Beschäftigung ehemaliger Kabinettsmitarbeiter sowie Wahlkampfprämien und Leistungszulagen für Mitarbeiter. Damit hätte die ÖVP die Wahlkampfkostengrenze um zumindest 525.000 Euro überschritten.

Der Rechnungshof meldete diesen Verstoß nun dem Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat (UPTS) im Kanzleramt. Dieser hat über eine etwaige Strafe zu entscheiden. In der Vergangenheit hatte der Senat die ÖVP bereits dreimal wegen Überschreitung der Wahlkampfkostengrenze bestraft – in Summe musste die Volkspartei dafür 1,2 Millionen Euro Geldbuße bezahlen. Bei der Nationalratswahl 2013 hatte die ÖVP die Sieben-Millionen-Euro-Grenze um mehr als vier Millionen Euro überschritten, bei der niederösterreichischen Landtagswahl im selben Jahr um fast zwei Millionen Euro, und bei der Nationalratswahl 2017 hatte die ÖVP schließlich um fast sechs Millionen Euro zu viel ausgegeben.

ÖVP weist Darstellung zurück

Die ÖVP weist die Darstellung zurück und betont, dass es sich bei den 888.676,58 Euro nicht um Wahlwerbungskosten handeln würde. "Diese Ausgaben sind nicht den Wahlkampfkosten zuzuordnen. Wir gehen aufgrund der Faktenlage nicht davon aus, dass der UPTS zu einem anderen Ergebnis kommt", lässt Generalsekretär Christian Stocker in einer Aussendung wissen.

Was außerdem für Unmut beim Rechnungshof sorgt: Erst im Zuge der Wirtschaftsprüfung hat die ÖVP ihre Angaben zu den Wahlkampfkosten 2019 deutlich nach oben korrigiert. Ursprünglich hatte die Volkspartei ihre Ausgaben für die Nationalratswahl 2019 mit 5,6 Millionen Euro beziffert. Mittlerweile bestätigt die Partei Ausgaben von 6,6 Millionen Euro. "Der Rechnungshof erwartet sich, dass in einem Verfahren zu einem Rechenschaftsbericht umfassende und aussagekräftige Angaben gemacht werden – und nicht erst im Zuge einer Prüfungshandlung", lässt Rechnungshof-Sprecher Christian Neuwirth auf Twitter wissen.

Nehammer unter Zugzwang

Kanzler und Parteichef Karl Nehammer hat jedenfalls keine Möglichkeit, die Angelegenheit als Sünden seines Vorgängers Sebastian Kurz abzutun – er war 2019 Generalsekretär und damit für den Rechenschaftsbericht zuständig, den er auch unterschrieben hat. Dazu äußern wollte sich Nehammer auf Anfrage des STANDARD nicht.

Die Opposition sieht die Verantwortung eindeutig bei Nehammer. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sieht diesen "zu 100 Prozent für den Wahlkampfkosten-Skandal (...) verantwortlich", deshalb sei er "als Kanzler untragbar". "Nehmen Sie endlich den Hut, Herr Nehammer", fordert FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. "Dieser erneute Gesetzesbruch" dürfe "nicht wieder ohne Konsequenzen bleiben", befindet auch Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos. (Sandra Schieder, 12.12.2022)